Yuni KIM wird mit dem Diffring-Preis für Skulptur 2015 ausgezeichnet. Das skulpturale Werk von Yuni Kim bindet Installation, Fotografie, Malerei, Sound- und Videokunst in das künstlerische Schaffen ein. Die wesentlichen Themen der koreanischen Künstlerin sind geprägt von einer Philosophie, die für jegliche Existenzform, ob Pflanze, Tier, Mensch oder Gegenstand eine gleichwertige Achtung, Beachtung und Würde fordert. Die Beseelung aller Dinge als gedankliche Voraussetzung ermöglicht und provoziert den Transfer von emotionellen Erfahrungen und Erlebnissen in eine Gegenständlichkeit, die Yuni Kim in eine authentische künstlerische Ausdrucksform wandelt, sinnlich und konzeptuell. Die technischen analogen und digitalen Medien treten nie dominant in Erscheinung, die Konzentrati- on des Betrachters wird somit direkt auf die Inhalte und ein ästhetisches Erlebnis gelenkt. Die Poesie ihrer Arbeiten zieht den Betrachter in ihren Bann und konfrontiert ihn mit den elementaren Themen unseres Daseins. „Leben durch Tod“ (2015). „Wie ich bin, wie du bist“ (2014), beschreibt die Sehnsucht nach Harmonie (vgl. Diffring: „Suche nach einem verborgenen Gleichgewicht“) ebenso wie die Arbeiten „How I become you?“ (2015), und „Eins“ (2015). Yuni Kim sieht die Einheit der Welt, der Materie, der Elemente – in ihrer Vielheit („you and me and something like you“, 2015). Elementarer Bestandteil ihrer Arbeit ist die Auseinandersetzung mit der Zeit („Jetztzeit – Späterzeit“ , 2010), mit Lebenszeit und Vergänglich- keit, mit Erinnerung („Where the missing things are“ , 2015). Sie befragt Wirklichkeit, in dem sie dem unmittelbar Sichtbaren, dem sogenannten Realen, eine andere Instanz des Existierenden im ‚Un-fassbaren’ (virtuell) gegenüberstellt. Mehrere Wirklichkeiten beziehen sich aufeinander, überlagern sich, verschmelzen, bleiben eigenstän- dig. Eine unsichtbare Welt wird imaginär durch den Schatten eines abwesenden Objekts real spürbar. So, wie über Erinnerung mit der Kraft der Vorstellung in Gedanken eine Situation aus der Vergangenheit wieder erlebt – und für die Zukunft bewahrt werden kann. Yuni Kim kreiert Schatten, sie entstehen nicht zufällig. Schatten sind Bedeutungsträger. Kein bloßes Echo oder ‚Bild hinter dem Bild’ oder attraktiver Effekt, eher die Vervielfachung des Gleichen zu immer wieder Neuem. Sie verleiht dem Schatten eine eigene Bewusstheit. Als ‚alter ego’ stellt der Schatten Bezüge zu ‚dem Anderen’, ‚dem Un-begreiflichen’ her. Alltagsgegenstände erhalten in ihrer Anordnung eine Wertachtung, die ihre kulturelle Symbolik unterstreicht. Yuni Kim macht sichtbar, dass alle Objekte eine Geschichte haben, Züge des Lebens tragen. Die Beziehungen der Dinge zueinander erregen Assoziationsketten zu individuellen, ethischen, ethnologischen Phänomenen. Sie betreibt eine Archäologie der Gegenwart, wobei sie klischeehafte Wahrnehmungsmuster entlarvt, statische Kategorien aufbricht (vgl. Diffring: Statische Gedanken abstoßen). Abdrücke sind Eindrücke, hinterlassene Spuren, wie ein Fußabdruck im Sand. Sie verweisen auf eine ‚Präsenz in absentia’ und auf eine ‚conditio humana’, bestimmt von Licht und Schatten, von Bewusstsein und Unbewusstsein, Anwesenheit und Abwesenheit. Und Yuni Kim macht uns beide Seiten in Gleichzei- tigkeit sichtbar. Sie schenkt dem Betrachter ein Weltbild, dass das Leiden an der Wirklichkeit überwunden hat und das IST und das SEIN befreit bejahen kann. Joachim Becker, 09/2016
Die Stiftung JACQUELINE DIFFRING FOUNDATION