Text for the solo exhibition “Wo die verschwundenen Dinge sind”2015 by Dr. Birgit Möckel (DE)

„Wie ich bin, wie du bist“, lautet der Titel dieser Multi­Media­Installation, die klar und präzise zwei Linien auf unterschiedlichen Bildträgern miteinander in Verbindung bringt und sogleich wieder trennt ­ im steten Wechsel von Videoscreen und Wand, während der Schaukeltisch auf weitere – gedachte – Bewegungsimpulse verweist und ganz reale Denkanstöße in viele Richtungen vermittelt. Geradlinig die eine, schwankend die andere Linie: Je nach Blickrichtung, aufwärts oder abwärts weisend, treffen sich – real und in Gedanken ­ zwei lineare Wegstrecken oder Geraden, die man als graphisches Spiel oder als Miteinander verschiedener „Richtlinen“ sehen kann, als Metaphern für Ziele, Wege, Entscheidungen: schwankend der eine, geradlinig der andere „Protagonist“, Teil und Ganzes, Ich und Du oder wie es der Titel weiß: „Wie ich bin, wie du bist“. Das Gleiche ist nicht Dasselbe, der eine nicht wie der andere, auch nicht für einen kurzen Moment – treffen sich die Linien doch auf zwei fein unterschiedenen (medialen) Ebenen. Mit dieser Arbeit und ihren unterschiedlichen Schichten und damit verbundenen Perspektivwechseln deutet sich auf abstrakter wie konzeptueller Ebene an, was auch die anderen hier im Raum und an anderer Stelle des Museums installierten Werke von Yuni Kim auszeichnet und verbindet. Überall zeigen sich vertraute Bilder, Alltagsgegenstände und Schatten, die wieder und wieder den Vergleich von Gesehenem und Gedachtem evozieren. Zu sehen sind Dinge, die Spuren oder Leerstellen hinterlassen, sich als Abdruck, Eindruck, Umkehr oder Vexierspiel all dessen zeigen und unsere Wahrnehmung auf mehr als nur eine Probe stellen. „you & you & you & you“ als vierfaches Echo (in Form einer Flasche in der Küchenzeile) oder „ you & me & something like you” (als weitere Werke in dem Räumen im OG) sind so sachliche wie programmatische Titel für ein Ding und seinen (vermeintlichen) Schatten oder das was aus dem Schatten der Erinnerung wächst und sich stetig verändert: visualisiert an einem Glas, einer Glasflasche oder einem Buch. Jedes noch so bekannte Objekt hinterlässt seine eigene Erinnerungsspur – mal heller aufscheinend, mal dunkler ­ richtig? falsch? irgendwo dazwischen? – und verwebt sich darüber hinaus zeichenhaft mit Orten, Geschichten und vertrauten Menschen. Was bleibt, wenn Vertrautes verschwindet? Was zeigt sich an einer Leerstelle, einem Schatten, was an dem Ort, „wo die verschwundenen Dinge sind“? Wie verändert Verlorenes die Anschauung von Gesehenem, Erlebtem, Erdachten und wie prägt Erfahrung die Wahrnehmung? Wie präzise lässt sich
Erinnerung darstellen und wie gleichzeitig der Blick für die Gegenwart schärfen?
Erinnerung ist ein großes Thema der jungen Künstlerin Yuni Kim. Als Pendant zu ihrer eingangs erwähnten Arbeit, sehen wir einen 8­teiligen Fries gegenüber an der Wand. Die Hängung der einzelnen Leinwände erinnert an die traditioneller Porträts verstorbener Ahnen in koreanischen Wohnzimmern. Dargestellt sind als quasi räumliche Schatten oder dreidimensionaler Abdruck stilllebenhafte Dinge, die wir ähnlich aus Vanitas­Darstellungen alter Meister kennen, die mit augentäuschenden Trompe­l’oeil­Effekten auf die Vergänglichkeit irdischen Seins hinzuweisen wussten.
Weinglas, Flasche, Apfel, Glas, Mandarinen, Vase, Ei, Kaffeetasse: alle diese Dinge sind vertraut und vermitteln genau das ­ ebenso wie eine umfassende Zeitlosigkeit und Stille, die allerortens verstanden werden kann. Die Dinge zeigen sich – je nach Lesart ­ als Positiv und Negativ, als Innen und Außen oder als Abdruck und Leerstelle vergleichbar einer Gussform (Yuni Kim ist auch Bildhauerin), aus deren Hülle das Objekt entnommen wurde. „ Immer wieder zusammen (Familie)“ benennt die Künstlerin diese individuelle Ahnenreihe, aus deren lichten monochromen Weißtönen sich zeichenhaft, körperlich und schattengleich Formen öffnen oder entschwinden – je nach Perspektive und Licht, zwischen Bild und Objekt changierend. Die Dinge bleiben und verändern sich – wie die Erinnerung. Sie oszillieren zwischen Material und Form, Gegenwart und dem, was war und ist. „Wo die verschwundenen Dinge sind“ (wie der Titel dieser Ausstellung) oder „where the missing things are“ – wie die am Eingang präsentierte Arbeit mit realen Ästen und eben nicht ihren Schatten als symbiotisches Miteinander in der Übersetzung heißt ­ führt uns auf immer neue Spuren zwischen Sein und Schein, Gesehenem und Gedachten und den vielen „Aggregatzuständen“ oder Materialisationen dazwischen.
Vergängliches zeigt sich überdeutlich, fast grotesk, an diesem Fisch, der mit dem Echo akkustischer Wellen vibriert und doch noch als Skelett nie „seine Augen schließen kann“, wie es der Titel konstatiert ­ein Fundstück, eher bizarr im Vergleich zu jenem romantisch anmutenden „Landschaftspanorama“, das sich als fein gezeichnete „Utopie“ am unteren Rand einer einfachen Badezimmertür aus Sperrholz fand, die nach und nach Spuren der Vergänglichkeit oder besser des Gebrauchs im feuchten Klima offenbarte.
„Leben durch Tod“ ­ so der Titel jener Konsolenarbeit, die eigenen Regeln folgt und eigene Maßstäbe setzt. Wie ein ferner Verwandter der eingangs erwähnten Horizontale, nimmt die Umfassung der Konsole die schwarze Linie der langen Geraden wieder auf und verwandelt sie zur Stütze einer Vase, die ihren Sinn verloren hat und nun als Bindeglied zwischen oben und unten fungiert und einen Kreislauf zum Klingen bringt, der sich mit dem Menschen und der Natur auf Dauer und immer wieder verbindet. „Die Hauptthemen meiner Arbeit sind Liebe, Beziehungen der Menschen untereinander, Beziehungen zwischen Menschen und Objekten oder der Welt, die Begrenztheit der Zeit und der Tod. Da all diese Dinge nicht sichtbar sind, versuche ich Unsichtbares sichtbar zu machen. (…) versuche flüchtige Momente festzuhalten und zu konservieren, bin mir jedoch gleichzeitig darüber bewusst, dass dies nicht möglich ist“, formuliert die Künstlerin jene umfassenden Gedanken, die sich mit diesen so spielerischen wie tiefsinnig poetischen Werken verweben und mit und in ihnen leise nachhallen. In allen hier versammelten so schlichten wie vertrauten Alltagsmotiven zeigen sich Erinnerungsräume, die einen weiten Bogen über das Individuelle Gedächtnis hinaus aus der Ferne in die Gegenwart und vice versa spannen. Die verschwundenen Dinge sind nicht verloren. Sie sind da, wo wir sie sehen und uns erinnern – ausgelöst durch eine Bild gewordene Spur. „I never read, I just look at pictures“, fasst Andy Warhol lakonisch knapp die umfassenden Ausdrucksmöglichkeiten von Kunst zusammen. Keine Provokation, sondern die klar formulierte Erkenntnis, dass Kunst so viel erzählt, weiß oder lehrt wie Literatur – man muss die Bilder nur in der ihr eigenen Sprache und Vorstellung lesen. Noch ein Hinweis zum Schluss: Draußen, im (Schau) Fenster des kleinen Gartenhauses, finden sich zwei getrocknete Mandarinen – ähnlich der zwei Formen hier im Raum in der imaginären Ahnengalerie. Ja, auch ein Museum wie dieses erinnert und konserviert.


Dr. Birgit Möckel